VENEDIG und seine Inseln
Die Lagune von Venedig begann sich 800 v.Chr. in einer Sumpflandschaft, in der vermutlich schon seit der Frühgeschichte Menschen lebten, zu formen. In der paleovenetischen Zeit wohnten hier Völker, die von Fischfang, Salzgewinnung und Seehandel lebten. Die Intensität der Handelsgeschäfte zwischen der Adria und Mittel- und Nordeuropa führte zur Entstehung neuer Siedlungen in dieser Gegend, unter denen Altino hervorsticht. Die Bewohner des Festlands flüchteten sich in die Lagune, um den Barbaren zu entkommen, welche seit dem 5. Jahrhundert das Hinterland unsicher machten. Zur selben Zeit wurden in der Lagune die wichtigsten religiösen Institutionen gegründet, wie die des Patriarchen von Aquileia in Grado und des Bischofs von Altino in Torcello. Nach einer erneuten Welle von Überfällen der Barbaren verblieb im Jahr 568 n.Chr. nur der Küstenstreifen im byzantinischen Einzugsbereich, und von diesem Moment an stand der alte Ausdruck Venetia, der einst die gesamte Region Venetien umfasste, nur noch für das Gebiet der Lagune.
Venedig wurde zu einem der wichtigsten Häfen für den Austausch und die Begegnung zwischen Orient und Okzident. Damit bestanden ideale Bedingungen für die Entstehung einer unternehmungslustigen Kaufmannsklasse, die im Laufe von vier Jahrhunderten aus dem anfänglichen kleinen Vorposten eine mächtige und unabhängige Herrin der Meere machte. Venedig ist eine der Seerepubliken und an diese Zugehörigkeit erinnert auch der Markuslöwe, das Wahrzeichen der Serenissima, das gemeinsam mit denen der anderen Seerepubliken – Genua, Pisa und Amalfi – im Wappen der Marina Militare abgebildet ist. An der Spitze der Regierung stand der Doge (dialektale Form von “Duca”, ital. für “Herzog”, lateinisch dux). Im 13. Jahrhundert, seiner absoluten Blütezeit, beherrschte Venedig einen großen Teil der Adriaküste, Dalmatien, Istrien und viele Inseln der Ägäis, Kreta, Zypern und Korfu. Venedig war die bedeutendste Militärmacht und gehörte zu den wichtigsten Handelsmächten, die im Mittleren Osten aktiv waren. Im 15. Jahrhundert dehnte sich das Gebiet der Republik von Istrien bis zum Fluss Adda und von der heutigen Provinz von Belluno bis zum venetischen Polesine aus. Der Niedergang nahm im 15. Jahrhundert seinen Lauf.
Ausgelöst wurde er durch das Wachstum des Osmanischen Reichs und die Verlagerung des Handels in Richtung Amerika, die den Seehandel der Stadt schwer traf, die ihre wirtschaftlichen Interessen von da an auf das Hinterland richtete. Im Mai 1797, nach 1000 Jahren Unabhängigkeit, wurden der Doge Ludovico Manin und der Oberste Rat von Napoleon gezwungen abzudanken, welcher die “Provisorische Regierung der Municipalità di Venezia” ausrief. Diese Municipalità endete am 17. Oktober 1797, als Venetien, Istrien und Dalmatien mit dem sog. Frieden von Campo Formio zwischen den Franzosen und Österreichern an Österreich abgetreten und zur “Provinz Venetien” des Österreichisch-Ungarischen Reichs wurden. Venedigs berühmtester Ort ist der Markusplatz, Piazza San Marco, der einzige “richtige” Platz Venedigs – die anderen nennen sich “Campo” oder “Campiello”. Der Markusdom befindet sich auf dem Markusplatz und ist (innen wie außen) reich mit Gold und Mosaiken verziert, die belegen, dass die Stadt auch architektonisch an Byzanz gebunden war. Er entstand ursprünglich als Kapelle des angrenzenden Dogenpalasts. In der Loggia über der Haupttür sind die vier bronzenen Pferde zu sehen, die von der Pferderennbahn von Konstantinopel stammten und 1204 auf Befehl des Dogen Dandolo (Befehlshaber des Kreuzzugs) als “Beute” vom vierten Kreuzzug nach Venedig mitgebracht wurden. Der Dom wird von fünf großen Kuppeln gekrönt, die ebenfalls einen deutlich orientalischen Einschlag haben. Das heutige Bauwerk ist die dritte, dem Heiligen Markus geweihte Basilika, die an demselben Ort entstand; die ersten beiden waren zerstört worden. Der Dogenpalast erhebt sich neben dem Dom, mit dem er durch die sogenannte Porta della Carta verbunden ist. Der Dogenpalast war der Sitz der Regierung der Serenissima. Er wurde im 15. Jahrhundert aus Marmor aus Istrien erbaut. An seiner Stelle befand sich in der Vergangenheit ein Schloss, das während eines Volksaufstands in Flammen aufging. Heute beherbergt der Palast ein reiches Museum mit Kunstwerken großer venezianischer und anderer Künstler. Aber auch der Palast selbst ist ein Kunstwerk, das es zu besichtigen gilt, angefangen mit dem Saal des Obersten Rates (Sala del Maggior Consiglio), in dem jahrhundertelang die Versammlungen der stärksten Seemacht der Welt standfanden, bis hin zur Seufzerbrücke (Ponte dei Sospiri), die den Palast mit dem Stadtgefängnis, das auch “i Piombi” genannt wird, verbindet. Gegenüber der Basilika erhebt sich der Campanile di San Marco: Der Glockenturm wurde 1173 errichtet, stürzte 1902 zusammen und wurde vollständig wiederaufgebaut.
Der Sockel des Glockenturms ist mit einer kleinen Loggia verziert, die von Sansovino stammt, welcher hier auf Basreliefs die berühmtesten Unternehmungen der Serenissima dargestellt hat. Ein berühmtes venezianisches Bauwerk ist auch das Arsenal. Es nimmt einen großen Bereich der Inselstadt ein und war ab dem 12. Jahrhundert das Zentrum des venezianischen Schiffsbaus, welcher in enger Verbindung mit der Blütezeit der Serenissima stand: Dank der hier gebauten robusten und imposanten Schiffe gelang es Venedig, die Türken in der Ägäis zu bekämpfen und die Handelsrouten Nordeuropas zu erobern. Auf jeden Fall einen Besuch wert ist auch das Sestiere di Castello, das “Viertel”, wo sich das Arsenal befindet. In der Vergangenheit wohnten hier viele Menschen – insbesondere diejenigen, die im Arsenal arbeiteten und bei den Venezianern “Arsenalotti” hießen. Die Basilika Santa Maria della Salute erhebt sich auf der Punta della Dogana, von wo sie das Panorama der Bucht von San Marco und des Canal Grande beherrscht. Von Longhena entworfen, ist sie deutlich von Palladio inspiriert und kann mit Fug und Recht als Juwel der venezianischen Barockarchitektur bezeichnet werden. Sie wurde von den Venezianern zu Ehren der Heiligen Jungfrau erbaut, die sie um Hilfe angefleht hatten, als 1630/31 die Pest unzählige Menschenleben forderte. Die Basilika Santa Maria Gloriosa dei Frari befindet sich auf dem Campo dei Frari, im Sestiere di San Polo und ist Mariä Himmelfahrt geweiht. In ihr befinden sich viele Kunstwerke, darunter auch zwei Gemälde von Tizian. Viele Persönlichkeiten der Stadt, wie zum Beispiel Claudio Monteverdi und Tizian, haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Der Bau der Basilika begann im 13. Jahrhundert, geweiht wurde sie am 27. Mai 1492 unter dem Namen Santa Maria Gloriosa. Direkt neben der Kirche befand sich ursprünglich ein kleines Mönchskloster aus Holz und Ziegelsteinen. 1369 wurde das Kloster nach einem Brand wieder aufgebaut und erweitert. Das Mönchskloster wurde sowohl wegen seiner Größe (es hatte ca. 300 Zimmer) als auch um es von den anderen Franziskanerklöstern der Stadt zu unterscheiden, Magna Domus Venetiarum bzw. Ca’ Granda dei Frari genannt. Es ist mit zwei Kreuzgängen versehen (die jetzt Eigentum des Staatsarchivs sind): den von Andrea Palladio entworfenen, aber erst nach seinem Tod gebauten Chiostro della Trinità und den von Sansovino erbauten Chiostro di Sant’Antonio.
Die Basilika Santi Giovanni e Paolo, deren Bau im 13. Jahrhundert begann, ist auch unter dem Namen “Pantheon der Dogen” bekannt, da sich hier viele Grabstätten von Dogen und berühmten Persönlichkeiten des damaligen Venedigs befinden. Seit ihrer Weihe im Jahr 1430 wurde die Basilika kontinuierlich mit Gemälden, Grabdenkmälern und Skulpturen der größten venezianischen Künstler bereichert. Die Basilika Santissimo Redentore ist eine bedeutende Kultstätte, die sich auf der Insel der Giudecca befindet und 1577 vom Baumeister Andrea Palladio entworfen wurde. Hier sind Werke von Domenico Tintoretto, Pietro della Vecchia, Palma il Giovane, Francesco Bassano, Paolo Veronese und Alvise Vivarini zu sehen. Sie bildet den Mittelpunkt des berühmten Fests “Festa del Redentore”, das jedes Jahr am dritten Julisonntag zur Erinnerung an die Pestepidemie von 1575, die innerhalb von zwei Jahren ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, stattfindet. Im September 1576 erflehte der Senat die Hilfe Gottes mit dem Gelöbnis, eine neue Kirche zu Ehren des Erlösers (“Redentore”) zu errichten. Die Festlegung des Ortes und die Planung gingen sehr schnell vonstatten und bereits im Mai 1577 wurde der Grundstein des Bauwerks gelegt, das, wie gesagt, nach einem Entwurf von Palladio (der seit 1570 Chefbaumeister der Republik war) konstruiert wurde. Im darauffolgenden Juli wurde das Ende der Seuche mit einer Prozession gefeiert, die über eine Brücke aus Booten zur Kirche führte, und dies war der Beginn einer Tradition, die noch heute gepflegt wird. Die Kirche wurde den Kapuzinermönchen übergeben, die gemäß ihrer Armutsregel die Verwendung von Marmor und anderen kostbaren Materialien vermieden und stattdessen selbst für die Errichtung der entzückenden Kapitelle im Inneren des Bauwerks nur einfache Ziegel und Ton verwendeten. Das Ghetto von Venedig im Sestiere di Cannareggio war das Viertel Venedigs, in dem sich die venezianischen Juden während der Zeit der Republik Venetien niederlassen mussten, wenn sie in Venedig leben wollten.
Ihre Anwesenheit in Venedig ist seit dem Jahr 1000 belegt, auch wenn es erst Ende des 14. Jahrhunderts zu einer maßgeblichen und bleibenden Besiedlung kam. Bis zur Einrichtung des Ghettos konnten die Juden abgesehen von einigen Restriktionen überall in der Stadt wohnen. Der Stadtteil, wo in der Folge das jüdische Viertel entstehen sollte, bekam spätestens zu Beginn des 14. Jahrhunderts den Namen “Ghetto”. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden mehrere Synagogen gebaut, jeweils eine für jede Herkunftsgruppe. So entstandem die Schola Grande Tedesca, die Schola Canton (aschkenasischer Ritus), die Schola Levantina, die Schola Spagnola und die Schola Italiana. Die Bauten bilden einen hochinteressanten Bauwerkskomplex, der noch heute besichtigt werden kann. Wunderbar sind die Adelspaläste am Canal Grande, die jeweils nach der Familie benannt sind, welche sie gegründet oder am längsten darin gewohnt hat. Zu den berühmtesten gehören der gotische Palazzo Fortuny, welcher der Stadt Venedig von der Witwe des spanischen Künstlers Mariano Fortuny übereignet wurde, der Palazzo Grassi, in dem interessante zeitgenössische Ausstellungen stattfinden, der Palazzo Mocenigo mit seiner Renaissance-Fassade, der Palazzo Grimani, der als öffentliches Eigentum Sitz des Berufungsgerichts ist, und der gotische Palazzo Loredan. Bei vielen Privatwohnsitzen wurde die traditionelle Bezeichnung “Ca'” beibehalten, die für den Namen der Besitzerfamilie (ital. “casata” = “Geschlecht”) stand: So gibt es zum Beispiel Ca’ Foscari, Sitz der Universität der Stadt, Ca’ Corner, im 16. Jahrhundert von Jacopo Sansovino entworfen, Ca’ Rezzonico, von Longhena im Sestiere di Dorsoduro erbaut, Ca’ Pesaro, Ca’ Vendramin Calergi und die Ca’ Dario, die für das tragische Schicksal von einigen ihrer Eigentümer bekannt ist.
Auf Grund seines einstigen Handelscharakters sind in Venedig Speicherhäuser zu sehen, mittelalterliche Bauten, die als Lager und Unterbringung für ausländische Kaufleute dienten. So kann man am Canal Grande den Speicher der Deutschen und den Speicher der Türken – wo heute der Sitz des Museums für Naturgeschichte ist – sowie den “Fontego del Megio”, den Hirse-Speicher, entdecken. In Venedig gibt es etwa 400 (öffentliche und private) Brücken, welche die 118 Inselchen verbinden, auf denen die Stadt erbaut wurde. Sie bestehen größtenteils aus Stein sowie Holz und Eisen. Die längste Brücke ist der Ponte della Libertà, der Venedig mit dem Festland verbindet, das sich durch die venezianische Lagune zieht. Über den wichtigsten Kanal der Stadt, den Canal Grande, führen vier Brücken: die Rialto-Brücke, welche die älteste ist – sie wurde etwa im 16. Jahrhundert erbaut und besteht aus zwei seitlichen Rampen und einer zentralen Rampe mit Geschäften auf beiden Seiten; der Ponte dell’Accademia; der Ponte degli Scalzi und der Ponte della Costituzione, der 2008 nach einem Entwurf des Architekten Santiago Calatrava erbaut wurde. Die berühmteste Brücke Venedigs ist gewiss die Seufzerbrücke, die im 17. Jahrhundert aus istrischem Stein erbaut wurde und den Dogenpalast mit dem Gefängnis Prigioni dei Piombi verbindet. Es ist schon kurios, dass man die berühmteste Brücke der Stadt nur begehen kann, wenn man den Dogenpalast besichtigt. Venedig ist auch für seine historischen Cafés bekannt. Nachdem der Kaffee um 1615 von den Osmanen hierher gebracht wurde, verbreiteten sich ab 1683 immer mehr Cafés in der ganzen Stadt. Das berühmte Caffè Florian, das noch heute auf dem Markusplatz betrieben wird, wurde 1720 eröffnet, und das ebenso berühmte Caffè Quadri hat seinen Anfang im Jahr 1775. In Venedig befindet sich der Sitz des berühmten Peggy Guggenheim Museums, in dem Werke großer Künstler wie Ernst, Modigliani, Picasso, Pollock, Mirò und Kandinsky ausgestellt sind.